Wenn die Welt an einem Strang zieht: Das Humangenomprojekt (HGP)
Mitte der achtziger Jahre schien die Zeit gekommen für ein Projekt, dessen Ausmaß alles in den Schatten stellen sollte, was es bis dahin auf dem Gebiet der Biowissenschaften gegeben hatte: Die Kartierung der gesamten genetischen Information des Menschen, um schließlich alle Gene auf dem etwa 3,2 Milliarden Basenpaaren langen DNA-Faden der 23 Chromosomen identifizieren zu können. Vergleichbar war dieses Vorhaben mit den Anstrengungen der Amerikaner und Sowjets, den ersten Menschen auf den Mond zu schießen. In den dabei siegreichen USA nahm auch die „Mondfahrt der Biologie“ ihren Anfang – und wie damals wurde das Vorhaben zu einem Wettlauf der Systeme.

Der Molekularbiologe Robert Sinsheimer, Kanzler der Universität von Kalifornien in Santa Cruz und als solcher gewohnt, für die Physik und Astronomie große Summen einzuwerben, hatte den Stein 1985 ins Rollen gebracht: Die Biologen dachten jetzt „groß“. 1988 wurde zunächst die Human Genome Organisation (HUGO) gegründet – als unabhängiger Verein aus Wissenschaftlern und Genomforschungseinrichtungen. HUGOs Aufgabe: Koordinierung der in aller Welt verteilten Arbeitsgruppen. Das eigentliche Humangenom Projekt (HGP) nahm 1990 als ein öffentliches, vorwiegend amerikanisches Großforschungsprojekt seine Arbeit auf. Schnell wurde daraus ein loser Verbund nationaler Genomforschungsprojekte aus mehr als 30 verschiedenen Ländern. Rund 60 Prozent der Arbeit übernahmen verschiedene Sequenzierzentren in den USA. Auf das britische Sanger-Zentrum entfiel ein Viertel der Aufgabe. An die verbleibenden Sequenzen machten sich vornehmlich Genomforscher aus Frankreich, Japan, China und Deutschland. Bis 2005 sollte die Arbeit erledigt werden, so der Plan. Die Gesamtkosten dafür: rund 3 Milliarden Dollar – also einer pro Basenpaar!

Den Glauben, dass ein solches Vorhaben überhaupt in einem überschaubaren Zeitraum von 15 Jahren bewältigt werden kann, befeuerten neue Arbeitsmethoden, die seit den siebziger Jahren die Genetik zur Gentechnologie gewandelt hatten: Dank molekularer DNA-Scheren - den so genannten Restriktionsenzymen - waren Genetiker in der Lage, das Bandwurmmolekül DNA gezielt in handhabbare Fragmente zu zerlegen. Vorher verknäuelte sich der Erbsubstanzfaden bei der Laborarbeit so, dass er nicht mehr zu gebrauchen war. 

„Teile und herrsche,“ hieß das Motto der HGP-Forscher, um das 3,2 Milliarden Basenpaare (bp) große Genom in den Griff zu bekommen. Um ein komplettes Genom sequenzieren zu können, sind im wesentlichen die drei folgenden Schritte notwendig: Schneiden, Sequenzieren und Zusammensetzen. Die HGP-Forscher zerlegten zunächst das Genom mit Restriktionsenzymen in Teilstücke (Fragmente) definierter Größe.

Um solche DNA-Fragmente zu sequenzieren, müssen sie zunächst vermehrt werden. Das machen die Wissenschaftler, indem sie die DNA-Fragmente in Bakterien einschleusen. Wenn sich die Bakterien teilen, vermehren sie gleichzeitig das übertragene DNA-Fragment.

Um DNA-Fragmente in Bakterien einschleusen zu können, müssen die DNA-Teilstücke erst in kleine ringförmige DNA-Moleküle, sogenannte Vektoren, eingebaut werden. Restriktionsenzyme als "molekulare Scheren" – und Ligasen als "DNA-Kitt" – ermöglichten diese Technik. Anschließend wird die Hülle der Bakterien mithilfe bestimmter Techniken "löchrig" gemacht und die Vektoren - und mit ihnen die DNA-Fragmente des menschlichen Erbgutes - können in die Bakterien eindringen. Die einzelnen DNA-Teilstücke werden dann in den Bakterien vemehrt, und da jede Bakterien-Kolonie ein spezifisches DNA-Fragment enthält, kann auf diese Weise eine Gen-Bibliothek angelegt werden. Die in den Bakterien „gelagerte“ Human-DNA wurde schließlich erneut zerteilt, bis die Stücke die für die Sequenzierung erforderliche Länge hatten. Um die in den Genbanken gelagerten DNA-Fragmente wieder in der richtigen Reihenfolge zusammensetzen zu können, nutzten die HGP-Forscher Chromosomenkarten. Darin war die Lage der Fragmente mithilfe von Markern verzeichnet. 

Bis 1998 waren auf diese Weise gerade mal 3 Prozent des Genoms sequenziert.

Zu diesem Zeitpunkt kündigte Craig Venter an, mit seiner Firma Celera Genomics das komplette menschliche Genom bis 2001 im Alleingang zu entschlüsseln. Venter bevorzugte ein anderes, weniger elegantes, aber schnelleres Verfahren, um an die Sequenz der DNA zu kommen:  Es ging als  Schrottschuss-Methode in die Wissenschaftsgeschichte ein. Er setzte auf größtmögliche Automatisierung und die geballte Rechenkraft seiner Computer: Nicht mit Schneideenzymen sondern mit mechanischer Gewalt (Ultraschall) wollte er die DNA zerlegen – in zufällig entstehende Fragmente, die klein genug sind, um komplett oder an ihren beiden Enden sequenziert zu werden. Den Zusammenbau der Genomsequenz sollten die Rechner übernehmen. Auf die mühevolle Kartierung glaubte er verzichten zu können – ein Irrtum, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Was bei Fliegen und Bakterien funktioniert hatte, führte beim Menschen nicht zum Ziel:
Der Grund: Hochrepetitive – sich ständig wiederholende – DNA-Abschnitte machen 40 Prozent des Humangenoms aus. Ohne die Karten des HGP verloren Venters Rechner die Orientierung. Beide Seiten arbeiteten daraufhin teilweise zusammen. Mit Erfolg: Bereits im Juni 2000 wurde die „Arbeitsversion“ des Humangenoms angekündigt. Am 12. Februar 2001 wurde sie veröffentlicht – die Biologen waren auf dem Mond gelandet.

 
NGFN

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