Erlernte Hilflosigkeit – hohe Kortisol- Spiegel können depressiv machen
Ein gestörter Kortisol-Stoffwechsel kann aufs Gemüt schlagen. Darauf weisen Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) hin. Sie stellten fest, dass Mäuse zu depressiven Verhaltensweisen neigen, wenn ihr Gehirn zu wenig Rezeptoren für Kortisol bildet.

Das körpereigene Hormon Kortisol wird besonders in Stresssituationen ausgeschüttet. Es erhöht den Blutzuckerspiegel und wirkt entzündungshemmend. Diese Effekte des Hormons werden vor allem über den so genannten Glukokortikoid-Rezeptor vermittelt. Ärzte
setzen Medikamente, die dem Kortisol eng verwandt sind („Kortison“), gegen Krankheiten wie Allergien, Asthma oder Rheuma ein. Darüber hinaus kann das Hormon offensichtlich auch die Psyche beeinflussen. Privatdozent Dr. Peter Gass und seine Mitarbeiter vom
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim gingen dieser Vermutung nach. Sie untersuchten hierfür genetisch veränderte Mäuse (GR+/--Mäuse*). Diese Tiere verfügen nur über halb so viele Glukokortikoid- Rezeptoren wie normale Mäuse. In verschiedenen Experimenten zeigte sich, dass diese Tiere zu „erlernter Hilflosigkeit“ neigen, einem für Depressionen typischen Verhaltensmuster. Was erlernte Hilflosigkeit bedeutet, veranschaulichen die Versuche: Die Tiere wurden zunächst zwei Tage lang leichten, unvorhersehbaren
Stromstößen ausgesetzt, denen sie nicht entkommen konnten. Am dritten Tag änderte sich die Versuchsanordnung. Jetzt leuchtete wenige Sekunden vor jedem Stromstoß eine rote Lampe auf. Die Tiere hatten dann die Möglichkeit, in einen anderen Teil der Versuchskammer
zu laufen und so dem Stromschlag zu entgehen. Im Vergleich zu normalen Mäusen brachten sich die GR+/--Mäuse wesentlich seltener rechtzeitig in Sicherheit. Sie nahmen die Stromstöße oft einfach hin. Offensichtlich hatten die Tiere nach der schlechten Erfahrung der ersten beiden Tage, an denen die Stromstöße unabwendbar waren, resigniert: Sie hatten Hilflosigkeit erlernt. Ähnlich dem Schicksal ergebene Reaktionen auf Stress beobachten Ärzte bei depressiven Menschen. Stress gilt darüber hinaus als ein wichtiger auslösender Faktor der Depression.

* GR steht für Glukokortikoid-Rezeptor; +/– bedeutet, dass die Versuchstiere bezüglich des Rezeptor-Gens heterozygot sind: auf einem Chromosom tragen sie das Gen, auf dem anderen Chromosom fehlt es.

Gestörte Rückkopplung
Im Blut entdeckten die Forscher eine weitere entscheidende Parallele zwischen den GR+/--Mäusen und Personen mit Depressionen. Beide weisen unter Stress erhöhte Kortisol-Spiegel auf, wahrscheinlich aufgrund eines gestörten Rückkopplungsmechanismus: Normalerweise fährt der Körper die Hormonproduktion zurück, wenn zu viel Kortisol zirkuliert. Diese Rückkopplung wird über die Glukokortikoid-Rezeptoren vermittelt. Sind zu wenig Rezeptoren vorhanden, merkt der Körper nicht, dass der Kortisol-Spiegel hoch ist und leitet keine Gegenmaßnahmen ein. Gass vermutet, dass auch Menschen mit Depressionen zu wenig Glukokortikoid- Rezeptoren besitzen oder dass die Rezeptoren bei ihnen nicht empfindlich genug sind. Dies kann zusammen mit den daraus resultierenden hohen Hormon-Spiegeln ein Problem werden.

Depression lässt sich jetzt leichter erforschen
Aber warum können hohe Kortisol-Spiegel depressiv machen? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Hormon und der Psyche? In Mannheim ist man einer Antwort auf diese Fragen sehr nahe. Die Spur führt in den Hippocampus, eine Hirnregion, die für unsere Emotionen wichtig ist. Wie Gass und seine Mitarbeiter feststellten, liegt bei GR+/--Mäusen im Hippocampus zu wenig  Nervenwachstumsfaktor BDNF (brain-derived neurotrophic factor) vor. BDNF schützt Nervenzellen vor dem natürlichen Zelltod, beeinflusst ihre Differenzierung und wirkt auf die Synapsen, also die Schaltstellen zwischen den Nervenzellen. Offensichtlich löst die geringe Zahl von Glukokortikoid- Rezeptoren eine fatale Kettenreaktion aus: Wegen der gestörten Rückkopplung steigt der Kortisol-Spiegel im Blut an, wodurch die BDNF-Konzentration im Hippocampus abfällt. Als Folge davon hat der Hippocampus die Emotionen nicht mehr unter Kontrolle und es kommt zur Depression. „Auch bei Menschen mit Depressionen soll die BDNF-Konzentration im Hippocampus vermindert sein”, ergänzt Gass. „Unsere Versuche bestätigen, dass hinter diesem BDNF-Mangel ein gestörter Kortisol-Stoffwechsel stecken kann.”

Was das für die Behandlung von Menschen mit Depressionen bedeutet, ist noch nicht klar. „Wir wissen allerdings mittlerweile, dass die meisten Antidepressiva den BDNF-Stoffwechsel des Hippocampus beeinflussen”, so Gass. Möglicherweise besteht eine zusätzliche Therapieoption in Medikamenten, mit denen sich die erhöhten Kortisol-Spiegel senken lassen. Ein anderer Weg könnten Mittel sein, die den Glukokortikoid-Rezeptor blockieren, sodass das Hormon im Gehirn den BDNFHaushalt nicht mehr durcheinander bringen kann.
Erste Versuche dazu mit betroffenen Patienten verliefen ermutigend. Mindestens genauso wichtig ist Gass aber ein anderer Aspekt: „Weil die GR+/--Mäuse sich in vielen Punkten ganz ähnlich wie Menschen mit Depressionen verhalten, können wir durch die Etablierung dieses
Tiermodells die Depression jetzt viel besser als bisher erforschen.”

aus: Newsletter "Nationales Genomforschungsnetz", April 2005, Hrgb.: Bundesministerium für Bildung und Forschung

 
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