Die chemische Struktur der Gene blieb lange Zeit ein Rätsel. Noch in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war nicht einmal klar, wo die Gene überhaupt lokalisiert sind. Stecken sie in den Proteinen oder der DNA? Diese Frage beschäftigte auch Oswald T. Avery. Die Antwort fand er im Jahr 1944 mit einem eleganten Experiment, das zu einem Meilenstein der Molekularbiologie wurde.
Avery arbeitete mit Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae. Diese Bakterien werden auch Pneumokokken genannt. Sie können schwere Infektionen, z.B. Lungenentzündungen verursachen.
Die Bakterienart existiert in zwei Varianten: Es gibt die krank machenden S-Bakterien und die harmlosen R-Bakterien. Die S-Zellen haben eine schützende Schleimkapsel, ihre Kolonien sind daher glatt (engl.: smooth). Wenn Mäuse mit dieser S-Variante der Bakterien infiziert werden, dann sterben die meisten Mäuse, da die Schleimkapsel die Bakterien davor schützt, von dem Immunsystem der Mäuse vernichtet zu werden.
Die R-Zellen haben keine Schutzhülle, ihre Kolonien erscheinen deshalb rau (engl.: rough). Mäuse, die mit der R-Variante der Pneumokokken infiziert werden, überleben, da ihr Immunsystem die ungeschützten Bakterien vernichtet.
Um herauszufinden, ob die Gene in den Proteinen oder in der DNA stecken, zerlegt Avery die abgetöteten S-Zellen in ihre Bestandteile und mischte die jeweiligen Molekülklassen Eiweiße (Proteine) und Nukleinsäuren (DNA und RNA) getrennt voneinander mit den lebenden R-Zellen.
Die Ergebnisse waren eindeutig: R-Zellen, die mit Proteinen von S-Zellen gemischt worden waren, bildeten ausschließlich raue Kolonien. Daraus folgerte Avery, dass sich durch die Zugabe von Protein die Merkmale der R-Zellen nicht veränderten.
R-Zellen, die mit der DNA der S-Zellen gemischt worden war, konnten jedoch teilweise glatte Kolonien erzeugen. Die beigemengte DNA führte also dazu, dass die vorherigen R-Zellen in der Lage waren, die für die S-Zellen typischen Schleimkapseln zu bilden. Die DNA enthält also die Bauanleitung für die Schleimkapsel und hat die entsprechende Erbinformation der S-Zellen auf die R-Zellen übertragen.
Damit bewies Avery, dass die DNA für die Vererbung zuständig ist – ein Stoff, der aus Zucker, Phosphaten und vier so genannten Basen aufgebaut ist.
Doch die meisten Forscher waren noch skeptisch. Erst acht Jahre später kippte die Meinung. Die DNA wurde als Erbsubstanz anerkannt. Jetzt begann ein bis dahin beispielloses Wettrennen: Man wollte möglichst schnell herausfinden, wie die Erbsubstanz eigentlich aussieht.