A hinter B, in der Nähe von C: KARTIERUNG weist Genen eine Adresse zu

Noch bevor die Frage nach der chemischen Struktur der Gene beantwortet war, gelang vor rund einem Jahrhundert das wissenschaftliche Kunststück, die erste Genkarte herzustellen: Der erste Kartograph der Erbanlagen war der aus Kentucky stammende US-Genetiker Thomas Hunt Morgan (1866 – 1945).

Durch seine Arbeit machte er die Tau- oder Fruchtfliege Drosophila melanogaster zum Haustier der Genetiker. Morgan verpaarte die kleinen Insekten in seinem Labor und dokumentierte mit der Gewissenhaftigkeit eines Buchhalters die Eigenschaften der Elterntiere und ihrer Nachkommen. Morgan und seine Mitarbeiter beschrieben das Phänomen Crossing-over und die Rekombination von Erbanlagen. Und sie zeigten, dass Gene in einer bestimmten Reihenfolge auf den Chromosomen angeordnet sind und einen festgelegten Abstand voneinander haben. 1933 wurde die Fliegenzählerei mit dem Nobelpreis belohnt. Die Methode seiner Genkartierung ist in weiterentwickelter Form auch heute noch in der Genetik aktuell.

Liegen zwei Gene auf verschiedenen Chromosomen, trennen sie sich nach der dritten Mendelschen Regel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent: Sie befinden sich nach der Reifeteilung (Meiose) entweder in einer gemeinsamen Keimzelle oder nicht. Liegen sie auf demselben Chromosom, müssten sie eigentlich immer gemeinsam vererbt werden. Das geschieht jedoch nicht. Häufig kommt es während der Meiose zu Brüchen in der DNA. Dabei werden DNA-Fragmente zwischen gleichartigen Chromosomen „über Kreuz“ ausgetauscht. Dies wird als Crossing-over bezeichnet.

Die so neu entstandenen Chromosomen tragen sowohl väterliche als auch mütterliche Gene. Crossing-over ermöglicht also intrachromosomale Rekombination. Für die Vererbung von zwei Genen auf einem Chromosom bedeutet dies: Je weiter die beiden Gene auseinander liegen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo auf dem DNA-Abschnitt dazwischen ein Bruch entsteht und die Gene neu kombiniert werden. Je höher also die Rekombinations¬wahrscheinlichkeit zwischen zwei Genen, desto größer ihr Abstand. Der Abstand der Gene wird Thomas Hunt Morgan zu Ehren in Centimorgan (cM) gemessen. Ein cM ist gleichbedeutend mit einer Rekombinationswahrscheinlichkeit von einem Prozent.

Mit den gleichen Methoden wie Morgan sie bei Fliegen angewandt hat, lässt sich auch das menschliche Genom kartieren. Anders als Morgan, der sich ausschließlich auf phänotypische – sichtbare – Merkmale („echte Gene“) konzentrierte, orientieren sich moderne Genforscher an vererbbaren Merkmalen innerhalb der DNA, sogenannten molekularen Markern. Die erste Genkarte des Menschen wurde 1987 veröffentlicht – mit rund 400 Markern. Möglich wurde diese Art der Genkartierung durch die Entdeckung der sogenannten „Riflips“. Die Abkürzung für diese genetischen Marker geht auf das Wortungetüm Restriktionsfragmentlängen-Polymorphismus (RFLP) zurück.

Restriktionsfragmente entstehen, wenn DNA mithilfe von Restriktionsenzymen zerschnitten wird. Der Schweizer Genetiker Werner Arber hatte diese DNA-Scheren 1970 entdeckt – und dafür 1978 einen Nobelpreis bekommen. Bakterien setzen sie ein, um die DNA eingedrungener Phagen zu zerstören. Das Besondere dieser Enzyme: sie zerschneiden den DNA-Faden nicht wahllos, sondern nur an Stellen mit einer bestimmten, für jedes Restriktionsenzym typischen Sequenz. Zerlegt man mit mehreren solcher „Scheren“ die DNA eines Menschen, entsteht ein Muster unterschiedlich langer DNA-Fragmente (Restriktionsfragmente). Wie die beiden US-Forscher Botstein und Davies im Jahr 1980 herausfanden, ist dieses Schnittmuster der DNA so individuell wie ein Fingerabdruck. Der Grund: zufällig auftretende Punktmutationen innerhalb der Schneidesequenzen können die Restriktionsenzyme blockieren. Diese individuellen Unterschiede in der Basensequenz nennen Genetiker Polymorphismus: Vielgestaltigkeit.

Bei den RFLPs ist es aber nicht geblieben, denn im Grunde taugen alle Auffälligkeiten innerhalb der Basenfolge der DNA verschiedener Menschen als Marker. Mit fortschreitendem Wissen über den Aufbau des Genoms wuchs so die Zahl der Orientierungspunkte, die wie Bojen, Leuchttürme, Untiefen oder Inseln Forscher durchs Genom-Meer lotsen. In der Genkarte des Menschen sind heute die unterschiedlichsten Marker verzeichnet: Die neben den RFLPs wichtigsten molekularen Marker haben Namen wie AFLP (Amplified Fragment Length Polymorphism),  CAPS (Cleaved Amplified Polymorphic Sequence), SSLP (Simple Sequence Length Polymorphism) und SNP (Single Nucleotid Polymorphism).

SSLP – auch SSR (Simple Sequence Repeats) oder Mikrosatelliten genannt – sind DNA-Abschnitte, die aus sich wiederholenden Basenfolgen aufgebaut sind. Neben den SSR gibt es zudem noch STR (Short Tandem Repeats), die aus zwei bis sechs sich ständig wiederholenden Basenpaaren bestehen, und VNTR (Variable Number Tandem Repeats), die auch als Minisatelliten bezeichnet werden. SNPs sind singuläre Basenaustausche – Punktmutationen – die bei mindestens einem von hundert Mitgliedern einer Population vorkommen. Weil sie sich einen festen Platz im Genpool einer Population errungen haben, sprechen Fachleute auch von „erfolgreichen Punktmutationen“. Die Zahl der SNPs im menschlichen Genom wird auf mehr als 2,5 Millionen geschätzt. Sie eignen sich damit in besonderer Weise für die Herstellung detaillierter Genkarten.
Die Informationen, die man aus SNPs gewinnen kann, haben auch die Techniken zum Aufspüren von Krankheits-Genen revolutioniert.

Liegt ein SNP in der Nähe eines Gens, wird es häufig mit diesem zusammen vererbt. Anhand dieser Erkennungsstellen kann der Fachmann also relativ gut herausfinden, welcher Bereich des Erbguts von welchem Elternteil geerbt wurde. Die genetischen Varianten kann man also als "Kartierungsmerkmale" entlang des Erbgut-Fadens verwenden: Wie eine Fahne an der Antenne eines Wagens markiert das SNP so das benachbarte Gen. Wenn ein bekanntes SNP also immer im Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit auftaucht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der betroffene DNA-Abschnitt Gene enthält, die etwas mit der Krankheit zu tun haben.

Das ist bei der Suche nach Krankheits-Genen wichtig: Indem man nach genetischen Varianten sucht, kann man Gene im Erbgut finden, die nicht mehr optimal oder manchmal auch gar nicht mehr funktionieren, und auf die deshalb eine Veranlagung für bestimmte Krankheiten zurückzuführen ist. Dazu müssen SNPs identifiziert werden, die bei Erkrankten sehr viel häufiger vorkommen als bei Gesunden. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die SNPs und die möglicherweise krankmachenden Gene besonders eng beieinander liegen. Die sich in der Nähe des betreffenden SNP befindlichen Gene werden dann als Kandidatengene für die jeweilige Krankheit bezeichnet: Sie stehen unter Verdacht, sind aber noch nicht als Täter überführt worden.

 

 

 

 
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