Gen entdeckt! Na und?

2001 wurde eine genetische Ursache des Morbus Crohn nachgewiesen. An diesem Erfolg hatten Forscher des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein maßgeblichen Anteil. Die Fachwelt war begeistert. Aber welche Konsequenzen hat die Entdeckung gehabt? Können Ärzte den Patienten jetzt besser helfen? Ein Bericht aus Kiel.

Am Anfang war es nur eine Vermutung. Der Morbus Crohn, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, schien in einigen Familien besonders oft vorzukommen. Wird die Krankheit also vererbt? Statistische Erhebungen bestätigten den Verdacht: So ist das Erkrankungsrisiko für Geschwister eines Patienten mit Morbus Crohn bis zu 35mal höher als für den Rest der Bevölkerung.

Genforscher machten sich deshalb daran, mögliche Veränderungen im Erbgut der Betroffenen aufzuspüren. "Krankheitsgen für Morbus Crohn entdeckt!" verkündeten sie schließlich im Jahr 2001.

Ein erstes relevantes Gen war gefunden und zwar von drei Forscherteams gleichzeitig: in Kiel, Paris und Chicago. Sie konnten zeigen, dass eine Mutation im NOD2-Gen an den chronischen Entzündungsvorgängen in der Darmschleimhaut beteiligt ist. Die Experten feierten den Erfolg als Durchbruch. Zum ersten Mal war es bei einer solch komplexen entzündlichen Erkrankung gelungen, eine genetische Ursache nachzuweisen. NOD2 reguliert die Produktion eines Eiweiß, das in den Zellen der Darmschleimhaut die Barriere gegen Bakterien aufrechterhält. Ist NOD2 verändert, so können Keime leichter in die Darmschleimhaut eindringen und dort eine chronische Entzündung hervorrufen.

Mutationen schon immer – Crohn erst seit 1920
Davon, dass Genforscher wissen, welche Rolle NOD2 im Krankheitsprozess spielt, wird natürlich noch niemand gesund. Das ist auch den Entdeckern des Gens klar. Außerdem "spielen Veränderungen von NOD2 nicht bei allen Patienten eine Rolle. Sie sind nur für eine bestimmte, sehr aggressive Form der Erkrankung relevant", erklärt Professor Stefan Schreiber, einer der Kieler Wissenschaftler, die NOD2 zuerst beschrieben.

"Darüber hinaus gibt es Mutationen des Gens mit Sicherheit schon seit Tausenden von Jahren. Morbus Crohn tritt aber erst seit Anfang des letzten Jahrhunderts häufiger auf und fast ausschließlich in den westlichen Industrienationen. Das heißt, dass neben den genetischen Faktoren auch die Lebensumstände eine Rolle spielen", ergänzt er. "Man muss sich überlegen, dass wir in den letzten 100 Jahren unsere Ernährung, die Hygiene und die Lebensgewohnheiten völlig verändert haben. Wahrscheinlich haben wir uns dadurch eine neue Bakterienflora im Darm herangezüchtet."

Was das mit der Genforschung zu tun hat?

"Ohne Mutation macht uns diese neue Flora nichts aus. Mit Mutation ist die Schleimhautbarriere des Darms so geschwächt, dass eine chronische Entzündung entstehen kann."


Profitieren wird der Patient
Der Morbus Crohn beruht also auf einem Wechselspiel zwischen Genen und Umweltfaktoren. Forscher sind sich sicher, dass außer NOD2 noch eine Reihe anderer krankheitsrelevanter Gene existieren. Schreiber geht davon aus, noch in diesem Jahrzehnt weitere genetische Komponenten des Morbus Crohn zu finden.

Die Patienten werden seinen Worten zufolge von dem neuen Wissen auf jeden Fall profitieren. Zum einen kann der Nachweis einer Mutation anzeigen, bei welchen Betroffenen die Erkrankung sehr aggressiv verlaufen wird - in diesen Fällen sollen Ärzte frühzeitig eine intensivierte Behandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten erwägen.

"Aber es wird in Zukunft auch Therapien geben, die NOD2 direkt beeinflussen", ergänzt der Wissenschaftler. "Weil jeder Mensch jedes Gen in zwei Versionen besitzt, von denen oft nur eine defekt ist, kann ein Weg zur Heilung darin bestehen, die Leistung der gesunden NOD2-Variante anzukurbeln", erläutert er. Die Kieler Forscher beginnen jetzt eine erste klinische Studie, mit der sie die Möglichkeiten dieser Therapieoption untersuchen.

(aus dem Newsletter "Nationales Genomforschungsnetz", Juni 2003, Hrgb.: Bundesministerium für Bildung und Forschung).

 
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