"Ich fühle mich dann wie unter einer Glasglocke"
Interview mit einer Epilepsie-Patientin
Martina Seidel (Name von der Redaktion geändert), 24 Jahre, leidet unter einer Schläfenlappenepilepsie. Die Erkrankung wurde festgestellt als sie 19 war. Frau Seidel ist ledig und absolviert eine Ausbildung zur Erzieherin. Im April 2003 war sie in der Klinik für Epileptologie in Bonn, um untersuchen zu lassen, ob sie durch eine Operation von ihrer Krankheit geheilt werden kann.

Frau Seidel, manche Menschen leiden seit früher Kindheit an epileptischen Anfällen. Wann trat die Erkrankung bei Ihnen zum ersten Mal auf?

Das erste Mal, an das ich mich so richtig erinnern kann, war als ich acht war. Wahrscheinlich ging es aber früher los. Ungefähr mit fünf bin ich zum Beispiel Fahrrad gefahren, habe auf einmal den Lenker losgelassen und bin gestürzt. Das fanden meine Eltern auch schon seltsam. Ab dem achten Lebensjahr kam es dann regelmäßig vor, dass ich wie in einem Dämmerzustand war und mich komisch verhalten habe.

Meine Eltern sind mit mir von einem Arzt zum andern gelaufen. Aber erst mit 19 wurde die Epilepsie endgültig festgestellt. Es hieß lange, das sind Kreislaufprobleme oder Entwicklungsstörungen in der Pubertät. Ein Arzt hat mir mal geraten, dass ich morgens einfach eine Tasse schwarzen Tee trinken soll, dann würde es schon besser werden. Mit 19 habe ich zufällig einen Anfall gekriegt als ein Neurologe gerade ein EEG geschrieben hat. Da war endlich klar, was los ist.

Wie läuft ein Anfall bei Ihnen ab?

Die meisten denken, dass man bei einem epileptischen Anfall immer umfällt, bewusstlos ist und der ganze Körper zuckt und krampft. Bei mir ist das anders. Ich habe erst ein merkwürdiges Gefühl im Bauch, ungefähr 15 bis 20 Sekunden vorher. Dann fangen meine Hände an zu nesteln, ich mache komische Kaubewegungen und atme schneller.

Richtig bewusstlos werde ich nicht, aber ganz bei mir bin ich auch nicht. Ich sehe, was um mich herum passiert und fühle mich wie unter einer Glasglocke. Die Ärzte nennen das komplex partielle Anfälle. Sie entstehen in meinem Schläfenlappen. Das ganze dauert nur ein paar Minuten. Am Ende des Anfalls habe ich oft einen Würgereiz. Wenn er abklingt, kann ich erst nicht richtig sprechen. Ich kriege die Wörter nicht zusammen oder rede wirres Zeug. Bei leichten Attacken bemerken andere Menschen manchmal gar nicht, dass ich einen Anfall habe. Als es mal mit Freunden im Café passiert ist, hat es niemand mitgekriegt.

Wie oft haben Sie solche Anfälle?

Ungefähr zwei- bis viermal in der Woche. Es gibt aber auch Wochen, in denen ich gar keinen Anfall bekomme und Tage, an denen es gleich mehrere sind. Bei emotionalem Stress kriege ich öfter Anfälle, zum Beispiel wenn ich mich mit jemandem gestritten habe, der mir wichtig ist.

Fühlen Sie sich durch die Epilepsie eingeschränkt?

Im Großen und Ganzen nicht. Im Alltag ist das eigentlich kein großes Problem. Nach einem Anfall geht es normal weiter, ich bin danach nur schlapp.Bestimmte Sportarten gehen nicht, weil es zu gefährlich ist, Klettern zum Beispiel. Und ich schwimme nur da, wo ein Bademeister in der Nähe ist. Bevor ich ins Wasser steige, gehe ich zu ihm und bitte ihn, dass er ein Auge auf mich hat. Autofahren darf ich nicht. Zum ersten Mal richtig eingeschränkt habe ich mich bei der Jobsuche gefühlt. Ich hatte mich auf eine Stelle als Gemeindereferentin beworben. Aber dafür sollte man Auto fahren können. Was mir etwas Angst macht, ist, dass mein Gedächtnis schlechter wird. Ich vergesse Sachen schneller und kann nicht mehr so gut lernen. Das war auch ein Grund, warum ich mein Studium abgebrochen habe.

Wie reagieren Ihre Mitmenschen auf Ihre Erkrankung?

Da hatte ich bisher großes Glück. Meine Partner haben zum Beispiel immer gesagt: „Na und, was soll´s?" Vielleicht ist es ein Vorteil, dass ich meine Krankheit nicht verschweige. Ich gehe sehr offen damit um. Aber es kriegt ja auch jeder mit der Zeit mit, wenn ich immer meine Tabletten nehme. Natürlich gibt es mal blöde Fragen, in der Kneipe zum Beispiel. Ich darf ja keinen Alkohol trinken und hole mir eben ´ne Cola. Aber ein wirkliches Problem ist das nicht. Ich bin sehr froh, dass ich so ein verständnisvolles Umfeld habe. Aber ich kenne Epileptiker, die riesige Probleme haben. Wenn man so richtige große Anfälle hat, ist es wahrscheinlich viel schwieriger.

(Newsletter "Nationales Genomforschungsnetz", Juni 2003, Hrsg.: Bundesministerium für Bildung und Forschung)

 
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